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Fristwahrende Schriftsätze – und der Eingangszeitpunkt bei Gericht

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Ein Schriftstück, mit dem eine bei einem Gericht zu wahrende Frist eingehalten werden sollte, gelangt nicht schon zu dem Zeitpunkt fristwahrend tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Gerichts, zu dem der mit der Annahme von Schriftstücken beauftragte Mitarbeiter des Gerichts die ihm von einem Rechtsanwalt oder einem Mitarbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei übergebene Postmappe zum Zwecke der Anbringung des Eingangsstempels auf den Schriftstücken und Einbehaltung der für das Gericht bestimmten Exemplare annimmt.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt war. Was war geschehen? Für die Klägerin hatte ihr beim Bundesgerichtshof zugelassener Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt – X am Tag des Ablaufs der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sein Personal angewiesen, die von ihm zuvor gefertigte, durchgesehene und unterzeichnete Rechtsmittelschrift nebst einer beglaubigten Abschrift und zwei weiteren Abschriften sowie dem mit der Revision anzufechtenden Urteil noch am Abend dieses Tages zusammen mit einigen weiteren Fristsachen zur Poststelle des Bundesgerichtshofs zu bringen. Die seit drei Jahren bei Rechtsanwalt – X tätige, bislang beanstandungsfrei und zuverlässig arbeitende und sorgfältig stichprobenartig überwachte Rechtsanwaltsfachangestellte D. habe diese Aufgabe übernommen. Sie sei gegen 18.30 Uhr zur Poststelle des Bundesgerichtshofs gelangt und habe die Postmappe mit den verschiedenen Fristsachen und darunter auch den Schriftstücken in der vorliegenden Sache an die dort tätige Mitarbeiterin des Gerichts übergeben. Diese habe die eingehenden Schriftstücke sowie das jeweils zuoberst liegende Exemplar für die Handakten von Rechtsanwalt – X mit dem Datumsstempel des Gerichts versehen, die für den Bundesgerichtshof vorgesehenen Schriftstücke entnommen und die Postmappe mit den gestempelten Exemplaren für die Handakten sodann an Frau D. zurückgereicht. Die Mitarbeiterin des Gerichts habe dabei offenbar das Fach in der Postmappe, in dem sich die Schriftstücke für das vorliegende Verfahren befunden hätten, überblättert und die dort einliegenden Schriftstücke daher wieder an Frau D. zurückgereicht. Diese habe die Postmappe entgegen der allgemeinen Kanzleianweisung, die zurückgereichte Mappe sofort daraufhin zu kontrollieren, ob sie alle gestempelten Aktenexemplare enthalte, nicht nochmals durchgesehen, sondern in ihrem Fahrzeug mit in den Feierabend genommen. Erst am nachfolgenden Morgen sei bei der Leerung der Postmappe in der Kanzlei festgestellt worden, dass sich dort neben den gestempelten Aktenexemplaren in den anderen Fristsachen die noch ungestempelten Schriftstücke in der vorliegenden Sache befunden hätten.

Fristversäumnis

Auf der Grundlage dieser Darstellung ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt worden ist.

Für die Frage, ob ein Schriftstück, mit dem eine bei einem Gericht zu wahrende Frist eingehalten werden sollte, dort rechtzeitig eingegangen ist, ist entscheidend, ob das Schriftstück innerhalb der Frist tatsächlich in die Verfügungsgewalt dieses Gerichts gelangt ist und damit dem Zugriff des Absenders nicht mehr zugänglich gewesen ist.

Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht schon dadurch erfüllt, dass die Mitarbeiterin des Gerichts die ihr von Frau D. übergebene Postmappe zum Zwecke der Anbringung des Eingangsstempels auf den Schriftstücken und Einbehaltung der für das Gericht bestimmten Exemplare angenommen hat. Der Annahme, dass damit bereits ein vollständiger Übergang der Verfügungsgewalt an den in der Mappe einliegenden Schriftstücken stattgefunden hat, steht schon entgegen, dass die für die Handakten des Rechtsanwalts bestimmten Exemplare der Schriftstücke nicht in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangen sollten. Ein Wechsel der Verfügungsgewalt im Sinne ihres vollständigen Übergangs auf das Gericht hat daher nur insoweit und auch erst in dem Zeitpunkt stattgefunden, als die Mitarbeiterin des Gerichts die für das Gericht bestimmten Exemplare der Schriftstücke nach deren Abstempelung nicht wieder in die Postmappe eingelegt, sondern an der für beim Gericht eingegangene Schriftstücke vorgesehenen Stelle abgelegt hat. Bei den für das vorliegende Verfahren vorgesehenen Schriftstücken, die in der Postmappe des Rechtsanwalts verblieben sind, hat daher am 3.03.2014 kein Übergang der Verfügungsgewalt auf das Gericht stattgefunden.

Wiedereinsetzung

Der Klägerin ist jedoch gegen die danach eingetretene Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil die von der Klägerin hilfsweise beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 Satz 1 ZPO).

Nach dem durch Vorlage der entsprechenden eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin D. glaubhaft gemachten Vortrag beruht die Fristversäumung weder auf einem eigenen schuldhaften Verhalten der Klägerin noch auf einem ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt X. Vielmehr ist nach dem glaubhaft gemachten Vortrag davon auszugehen, dass die Fristversäumung ihre Ursache insbesondere darin hat, dass die Kanzleimitarbeiterin D. es nach der Einlieferung der von ihr am Abend des 3.03.2014 beim Bundesgerichtshof abzugebenden Schriftstücke weisungswidrig unterlassen hat zu prüfen, ob diese Schriftstücke auch tatsächlich sämtlich in die Verfügungsgewalt des Bundesgerichtshofs gelangt waren. Ein eigenes (Organisations)Verschulden des Rechtsanwalts – X liegt nicht vor; dieser hatte eine zweckdienliche allgemeine Weisung erteilt, bei deren Befolgung die an diesem Tag ablaufende Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht versäumt worden wäre.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Mai 2014 – I ZR 70/14


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